Henriette Koberstein

Betreuerin

Betreuung und ich

Mit dem Wort „Betreuung“ verbinden wir gedanklich fast immer Hilfen im Alltag, quasi ein „An-die-Hand-nehmen“. Die rechtliche Betreuung unterscheidet sich davon massiv. Am ehesten ähnelt sie einer Vollmacht. Nun hat nicht jeder Angehörige oder Freunde, die sich bevollmächtigen lassen möchten.

Als Betreuerin werde ich durch das Gericht per Beschluss bestellt und übernehme die rechtliche Vertretung von erwachsenen Menschen, die sich wegen Krankheit, Behinderung oder psychischen Störungen nicht oder nicht allein um die eigenen Angelegenheiten wie Finanzen, Behörden, Gesundheit oder Pflege kümmern können. In einigen Fällen reicht den Betroffenen eine Beratung durch mich, in anderen Fällen unterstütze ich, in wieder anderen Fällen übernehme ich die Organisation und Verwaltung komplett. Ich fungiere sozusagen als eine Art Managerin, solange die Betreuung benötigt wird. Die Dauer und meine Aufgabenbereiche werden durch den Beschluss des Betreuungsgerichts festgelegt.

Jeder hat seine Geschichte, eigene Wünsche und Vorstellungen. Das sind meine Maximen in der Betreuung. Wir lernen uns persönlich kennen und schauen gemeinsam, wo und wie ich helfen kann! 


Zum Abschluss aber noch etwas heitere Ironie aus dem Betreuungsalltag:

 

 

"Verehrte Betreute und Eltern, Geschwister, Nachbarn, Vermieter, Ärzte, Apotheker, Sachbearbeiter in Behörden, Versicherungen und Banken sowie alle, die schon einmal von der rechtlichen Betreuung gehört haben!

Ich bin in der Lage, Anträge auf Grundsicherungsleistungen, Eingliederungshilfe, Arbeitslosengeld, Behindertenausweise, Pfändungsschutz, Kontoeröffnungen, Zuzahlungsbefreiungen für Rundfunkgebühren und bei Krankenkassen und vieles andere mehr für diverse Personen gleichzeitig zu stellen, mich Ihnen in einem persönlichen Gespräch aufmerksam und ohne Zeitbegrenzung zuzuwenden und zur gleichen Zeit noch fünf Telefonate zu führen.

Ich spreche alle Sprachen, kenne mich selbstverständlich im Sozialrecht, Familienrecht, Eherecht, Strafrecht, Ausländer- und Jugendrecht aus. Allein an Ihrem Gesichtsausdruck oder Ihrer Stimme am Telefon erfasse ich den Sachverhalt sofort und leite auf der Stelle alle erforderlichen Maßnahmen von der Geldauszahlung und Schuldentilgung bis hin zur geschlossenen Unterbringung Ihres Patienten, Klienten, Angehörigen, Nachbarn, Mieters oder Kunden ein.

Ich habe magische Fähigkeiten und kann meine Betreuten unverzüglich zu anderen Menschen machen. Ich erlöse sie von Psychosen, Alzheimer, geistigen und körperlichen Behinderungen, Krebserkrankungen, kriminellen Neigungen, ungebührlichem Verhalten, unvernünftigen Ess-, Trink- und Schlafgewohnheiten. Auch Arbeits- und Obdachlosigkeit gehören der Vergangenheit an, denn ich verfüge über ausreichend viele Ausbildungs- und Arbeitsplätze sowie komfortable Wohnungen. Finanziellen Engpässen meiner Betreuten begegne ich stets mit Schenkungen aus meinem unerschöpflichen Privatvermögen. 

Ich bin verantwortlich für Diebstähle, Schulden, schlechte Zähne, unpassende Kleidung, ungewollte Schwangerschaften, Mord, Beleidigungen, Bedrohungen, für die schlechte Wirtschaftslage, Arbeitslosigkeit, Wetter, miese Gesetze und dafür, dass Sie extra wegen mir so früh aufstehen mussten. Ich lächle, bin mitfühlend, ersetze bei Bedarf den Psychiater, außerdem bin ich gerne beim Abbau Ihrer Aggressionen behilflich, ich ertrage auch mit viel Ruhe und ohne Widerworte die übelsten Beleidigungen und die schlimmsten Beschimpfungen.

Ich kann Ihren PC, Drucker, Kopierer und Ihr kaputtes Klo oder Auto reparieren, auch kann ich gescheiterte Ehen retten. Ich übernehme gerne Einkäufe für meine Betreuten und erledige sämtliche Umzüge einschließlich Entrümpelungen und Wohnungsrenovierungen. 

Sollte niemand für einen entstandenen Schaden, den meine Betreuten verursacht haben, aufkommen, übernehme ich gerne die Kosten. Ich kenne weder Sonn- noch Feiertage, arbeite sehr gerne auch unentgeltlich bis in die tiefsten Abendstunden, persönliche Freizeit ist mir fremd. Während meiner Bürozeiten habe ich keine eigenen Bedürfnisse, ich vermeide Essen, Trinken oder den Gang zur Toilette, denn es könnte mir ein Telefonat mit Ihnen entgehen. Die einzige Freude meines Daseins ist es, Ihnen selbstlos zu dienen. Dafür verzichte ich gerne auf eine gerechte Bezahlung, Urlaub und Freizeit, denn ich arbeite als gerichtlich bestellter Betreuer." 

Quelle: (Chauvistrè, Ralph 2016)